"KÖRPER UND UTOPIE - OFFEN FÜR EUROPA UND DIE WELT"

Herzlich Willkommen zu unserem 4. Internationalen Pantomimefestival! ... Ab heute werden 40 europäische Künstler aus 5 verschiedenen Ländern 2 Wochen lang das Schweriner Publikum verzaubern, erfreuen, anregen. Einiges an diesem Festival ist anders als bei den vorherigen. Erstmals werden Mimen aus Kirgisien und Russland mit dabei sein und einen kleinen Einblick in ihre reiche künstlerische Tradition geben. Die Pantomimengruppen überwiegen diesmal über die Solos. Eine Vielfalt ästhetischer Richtungen wird zu erleben sein: angefangen bei der reinen Klassischen Pantomime über Comedy, Slapstik, Clownerie, bis hin zur italienischen Commedia dell' Arte.

In diesem Jahr wollen wir mit unserem Pantomimefestival zwei Menschen aus der Welt der Pantomime ehren. Zuallererst den Meister der Pantomime des XX. Jahrhunderts überhaupt, Marcel Marceau, der mit 77 Jahren noch immer auf Tournee die ganze Welt bereist und seinen staunenden Zuschauern erklärt, "Dank der Pantomime" bleibe sein Körper jung. Der andere Mensch, den wir würdigen wollen, ist Dagmar Dark-Ringstorff, eine Pionierin der Kunst der Klassischen Pantomime in Mecklenburg Vorpommern, die in diesem Jahr ihr 30. Bühnenjubiläum feiert. Aus diesem Anlass wird es in unserer derzeitigen Spielstätte (in der Mecklenburgstraße) am 8. Juni ein besonderes Programm geben, wo die Künstlerin einen Eindruck von ihrer sozial orientierten künstlerischen Tätigkeit vermitteln, sowie Ausschnitte aus ihrer pädagogischen Arbeit mit dem Pantomimenachwuchs im Freien Theater Studio zeigen wird. Wir wünschen Ihnen, Frau Dagmar Dark, viel Kraft und Gesundheit für die nächsten 30 Jahre mit der Pantomime.

In den vergangenen Jahren nahm das Interesse der Schweriner für diese fast vergessene Kunst stetig zu.

Ein bißchen erstaunlich ist diese Neugier schon, wenn man bedenkt, wie rastlos und geschwind es in der heutigen Welt zugeht, in dieser Welt der Hochtechnologien, der Werbung, der künstlichen Bilder, die die Wahrnehmungsfähigkeiten der Menschen tagtäglich prägen... Diese uralte Kunst der Pantomime begeistert immer noch, bringt Besinnung und innere Ruhe, wo der Lärm herrscht. Die menschliche Kreativität wird herausgefordert, die Phantasie aktiv einzusetzen und Räume, Gegenstände, Figuren aus dem Nichts zu erschaffen und miteinander in Beziehung zu bringen. Was für eine Kunst ist dies, wo meist nur ein Mensch auf einer nackten Bühne , ohne das Wort, nur mit Hilfe seiner Bewegungskunst in der Lage ist, das menschliche Gemüt so sehr zu ergreifen...?

"Körper und Utopie - Offen für Europa und die Welt" lautet das Motto des diesjährigen Pantomimefestivals. Damit wollen wir die Aufmerksamkeit auf die unbegrenzten und noch unerforschten Möglichkeiten des menschlichen Körpers lenken, der die Welten von Morgen als Utopien für das Heute erschaffen kann. Eine von diesen Utopien ist ohne Zweifel die Gestaltung einer offenen und solidarischen multikulturellen Gesellschaft innerhalb der europäischen Union, die sich auch den Menschen dieser Welt nicht verschließt, sie einander näher bringt. Wir wissen, dass die Utopien heute, nach dem Zerfall des sogenannten sozialistischen Weltsystems völlig ungerechtfertigt in Misskredit geraten sind in einer Welt, die das Geld als oberstes Prinzip anerkennt. Mit der trügerischen Hoffnung auf unmittelbare und kurzfristige Gewinne zerstören wir die Umwelt, führen wir Kriege, vernichten wir allmählich die kulturelle Substanz der Völker, kappen gewaltsam ihre kulturellen Wurzeln. Kultur bringt natürlich vom Standpunkt des Geldes aus keinen Profit. Damit werden Menschen degradiert zu reinen Konsumenten oder geistig manipuliert, um bestimmte Machtstrukturen zu erhalten. Die Kultur im Allgemeinen, erst recht jedoch die sogenannte alternative Kultur gilt oft nicht mehr als das letzte Rad am Wagen der Konsumgesellschaft, deshalb fällt sie auch so leicht als erstes der Sparwut von Verwaltungsmenschen zum Opfer. Denen wünschen wir eine besonders große Portion von Utopie, um mit Phantasie neue Modelle und kreative Lösungsmöglichkeiten zu finden.

Die Utopie muss ihren historischen Platz wieder einnehmen als eine alles mobilisierende, antreibende Kraft, die es vermag, verhärtete Denkstrukturen aufzuweichen und neue oder überwucherte Wege zu erkennen, um die gegenwärtigen Probleme kreativ anzugehen. Solange die Menschen ihre Fähigkeit zum Träumen nicht verlieren, wird es Hoffnung geben, und solange es Hoffnung gibt, bleibt auch die Utopie aktuell. Dasselbe kann ich behaupten von der Pantomimekunst, die in einem einzigen Augenblick alles verändern, Welten erschaffen kann. Schon Heiner Müller forderte, dass das Theater "ein Laboratorium der sozialen Phantasie" sein sollte. Diese Funktion wünschen wir uns parallel auch für die Kunst der Stille.

Eine großes Dankeschön gilt all denjenigen, die uns auf die eine oder andere Weise die Organisation dieses Festivals erst ermöglicht haben. An erster Stelle danke ich herzlich dem Hotel Elefant, das uns diesen schönen Raum zur Verfügung gestellt hat und die meisten der Künstler beherbergt. Ebenso danke ich dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, ohne dessen Förderung dieses Festival nicht möglich wäre. Auch dem Hotel "Speicher am Ziegelsee" sei gedankt. Besonders herzlich danke ich jedoch den zahlreichen Menschen , die mit viel Liebe zur Sache und Engagement persönliche Freizeit geopfert haben wie die Kinder und Jugendlichen der Pantomimengruppen unter der Regie von Frau Dagmar Dark-Ringstorff mit ihren engagierten Straßenaktionen, die Mitglieder der Freien Christengemeinde, Mitarbeiter der DPA und der verschiedenen anderen Medien, die uns geholfen haben und hoffentlich noch weiter helfen werden, unser Festival bekanntzumachen und die vielen anderen, die uns uneigennützig zur Seite standen, als wir sie brauchten.

Abschließen möchte ich, indem ich unseren Zuschauern, Künstlern und Mitarbeitern anregende Begegnungen in der Welt der Stille wünsche. Verlassen wir für einen kurzen oder längeren Augenblick unseren Alltag und lassen wir uns heute Abend von unseren Freunden aus Kirgisien begeistern, die diesen Raum im Rhythmus von Comedy und Slapstick in allen "Farben des Ostens" ausmalen werden.

Viel Vergnügen!

Dr. Franklin Rodríguez Abad
Künstlerischer Leiter des Festivals

(Eröffnungsrede des 4. Internationalen Pantomimefestivals im Großer Saal, Hotel Elefant am 26. 05. 2000)

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