20.5.2000 Schweriner Volkszeitung

Hofers Befreiung war schon geplant

"Enthüllungsjournalist"
Günter Wallraff über Meinungsfreiheit, Aufklärung und Krieg

Schwerin : Neue spektakuläre Enthüllungen hatte der Mann, der bei BILD Hans Esser war und als türkischer Gastarbeiter Ali "Ganz unten", bei seinem Auftritt im Schweriner Hotel "Elefant" nicht zu bieten. Und dennoch wurde es ein langer, spannender Abend mit dem "Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff.

Zu der Veranstaltung, die von der Schweriner Journalistin Corinna Pfaff moderiert wurde, hatte das Freie Theater Studio Schwerin eingeladen. Wallraff stellte zunächst Passagen aus älteren Arbeiten vor wie eben die Reportagen aus dem Alltag einer "professionellen Fälscherwerkstatt oder über die katastrophalen Arbeitsverhältnisse von Gastarbeitern im damaligen Thyssen-Werk.

Im Anschluss an die Lesung entwickelte sich eine lebhafte Diskussion. Das Publikum hatte viele Fragen an den 1942 in Burscheid bei Köln geborenen Autor, der durch seine wirkungsvollen Aktionen eine Variante der journalistischen Arbeit erfunden und gleichsam rechtsstaatlich sanktioniert hat: die des "Einschleichens zum Zwecke der Aufklärung. Das Spektrum der Fragen, die der prominente Gast bis in den späten Abend hinein hochkonzentriert und sehr nachdenklich beantwortete, reichte von einer angeblichen positiven Stellungsnahme zum Kosovo-Krieg über seine Haltung zu DDR und Sozialismus bis zu der Frage, warum denn noch keine neuen Enthüllungen von Wallraff auf den Markt gekommen seien.

Auf diese Erkundigung, die natürlich geradezu in der Luft lag, machte Wallraff neben gesundheitlichen Gründen auch die Tatsache geltend, dass sich zwei Aktionen erfreulicherweise erledigt hätten. Die eine habe den Kosovo-Krieg betroffen, die andere Affäre um den im Iran eingesperrten deutschen Kaufmann Helmut Hofer.

da der fall aus wirtschaftlichen Interesse totgeschwiegen worden war und niemand Hofer helfen wollte, hatte Wallraff nach eigener Auskunft den Plan gefasst, sich gegen Hofer austauschen zu lassen.

Wie Wallraff berichtete, sei diese Aktion schon sehr weit gediehen gewesen, einschließlich der persönlichen Kontaktaufnahme zu Hofer mittels in das iranische Gefängnis geschmuggelter Kassiber und der Veränderung der eigenen Identität. Als Gründe für sein Engagement führte er das Menschenrecht auf Liebe an, das vielleicht noch höher zu bewerten sei als das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit.

Auf eine Frage zu einer abgeblichen positiven Stellungsnahme zum Krieg im Kosovo, die eine Zuhörerin mit großer Enttäuschung zur Kenntnis genomman hatte, stellte Wallraff klar, dass es sich dabei um eine eindeutige Fehlinformation eines großen deutschen Nachrichtenmagazins gehandelt habe. Es sei ihm auch Wiedergutmachung zugesagt worden. Doch habe es wohl noch keine Gelegenheit dafür gegeben. Unmissverständlich sprach sich der erklärte Anti-Militarist und Wehrdienstverweigerer gegen den Krieg als politisches Mittel aus. Auch der "gerechte Krieg" sei eine "humanistische Katastrophe".

Sehr selbstkritisch war die Antwort auf eine Frage zu seinem Verhältnis zur DDR. Viel zu lange habe er die Illusion gehabt, dass sich aus diesem Experiment langfristig ein menschlicher Sozialismus entwickeln könne. Es sei ein Fehler gewesen, die Menschenrechtsverletzungen nicht zu thematisieren. Aber als "Teil dieses Lagers" habe man sich lange Zeit "falsche Zurückhaltung" auferlegt. Dies sei ihm spätestens klargeworden, als er seinen Freund Biermann nach dessen Ausbürgerung bei sich aufgenommen und dafür von der DDR zur persona non grata erklärt worden war. Erst mit Gorbatschow sei eine gewisse Hoffnung zurückgekehrt.

Op er denn keine Angst habe, wurde Wallraff gefragt. Er habe gelernt, so die Antwort, dass die Angst verschwindet, wenn man ganz nahe an den Verursacher herangehe.

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